Eine Marktwirtschaft kann nur dann zum Wohlstand aller Menschen bestmöglich beitragen, wenn sie in einen starken Sozialstaat mit stabilen freiheitlichen Institutionen eingebettet ist. Doch was heißt das gerade jetzt – in der aktuellen Rentendiskussion.
Die Soziale Marktwirtschaft basiert auf der grundlegenden Idee, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markte mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“ (Müller-Armack). Nur wirtschaftlich gute Leistungen auf Basis einer Leistungsgerechtigkeit sind die Grundlage für eine Sicherung des sozialen Fortschritts und schaffen damit die Möglichkeiten zum sozialen Ausgleich (Ausgleichsgerechtigkeit). Nur was vorher an anderer Stelle erwirtschaftet und an Wert geschöpft wurde, kann auch in der Sozialpolitik umverteilt werden. Was in der überwiegenden Zahl der privaten Haushalte als eher selbstverständlich angesehen wird – man kann eben nicht mehr ausgeben als eingenommen wird – gerät in der Politik insbesondere in Wahljahren relativ schnell in Vergessenheit. Es kann schon länger nicht mehr ausgeblendet werden, dass wir ein System der sozialpolitischen Umverteilung geschaffen haben, das mittlerweile in hohem Maße intransparent und teuer ist und zudem insbesondere an einer abnehmenden Zielgenauigkeit leidet. Die Zielgenauigkeit und die Subsidiarität als Grundlage einer guten Sozialpolitik sind aus dem Blickwinkel geraten. Es ist nicht mehr überblickbar wer wie viel an wen bezahlt und wieviel Geld z. B. im „System“ verbleibt; ein Überblick über die Nettoverteilungswirkung des Systems ist nur noch schwerlich leistbar. Ständig neue Leistungen und Einzelfallbestimmungen – nicht selten ausgerichtet nach Partikular- oder Parteiinteressen – schaffen oft das Gegenteil einer größeren Gerechtigkeit und erinnern an eine „Flickschusterei“. Es gilt eher das „Gießkannenprinzip“, das eine zielgenaue Hilfe für Menschen die bedürftig sind, erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. Das Sozialbudget unseres Staates unterlag und unterliegt einer dynamischen Entwicklung und beträgt mittlerweile fast 30 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, das heißt, dass nahezu 30 Cent von einem produzierten Euro in einem kaum transparenten System sozialer Sicherung umverteilt werden. Absolut haben sich die deutschen Sozialausgaben (Bund, Länder, Gemeinden) dem Wert von einer Billion Euro genähert, die Ausgaben des Bundes machen mit steigender Tendenz im Bereich der sozialen Sicherung 51% des Gesamthaushaltes aus. Das Ressort Arbeit und Soziales mit 150,2 Mrd. € beansprucht 41% des Gesamthaushaltes, der Bundeszuschuss in das Rentensystem liegt knapp über der 100 Milliarden Euro Grenze und bindet damit ca. 30 Prozent des Bundeshaushaltes. Trotz dieser großen Umverteilung haben viele Bürger allerdings zunehmend das ungute Gefühl, nicht zu den Begünstigten der Sozialtransfers zu gehören.
Wird unser Sozialsystem nicht grundlegend mit der besonderen Blickrichtung auf Solidarität. Subsidiarität und Selbstverantwortung reformiert, ist die Sorge nicht von der Hand zu weisen, dass unser Sozialsystem an die Grenze des Leistbaren stößt, Steuern und Abgaben in nicht mehr zu schulternde Größenordnungen steigen, ein Zusammenbruch des Systems ist nicht auszuschließen. Es gilt daher für zukünftiges Handeln einmal mehr auch in der Sozialpolitik zu betonen, dass nur in dem Ausmaß wie auf der Basis des Wettbewerbs, Einkommen und Wohlstand erzeugt werden („Prinzip der Freiheit auf dem Markt“), die Politik eine sozialpolitisch motivierte Umverteilung („des sozialen Ausgleichs“) vornehmen kann. Es gilt sich dem zunehmenden Eindruck entgegenzustellen, dass nur der sozial ist, der verteilt. Nicht minder sozial ist auch derjenige, der mit seinem Handeln erst die Grundlage dafür schafft, dass etwas zum Verteilen vorhanden ist.
Die bestehende Sozialordnung (z. B. gesetzliche Krankenversicherung) schafft Anreize und erleichtert es, dass die Versichertengemeinschaft insgesamt durch den einzelnen Versicherten ausgenutzt wird und er sich durch Entnahmen schadlos hält, will er doch so viel wie möglich aus dem System für sich herausholen. Die kollektivistische Absicherung hat dabei vielfältig die Vorsorge in Eigenverantwortung in den Hintergrund treten lassen. Es hieße dabei die Realität auszublenden und nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die Menschen im Sozialstaat mit der gleichen Zielstrebigkeit – wie in der Wirtschaft insgesamt – ihre persönlichen Ziele verwirklichen wollen. Man spricht in diesem Zusammenhang schon länger von der „allokativen Ineffizienz“ und der „Ausbeutung der Versichertengemeinschaft durch die Versicherten“ (Wilfried Schreiber). Die „individuelle Rationalität“ führt zur „kollektiven Irrationalität“.
Die vorstehenden Erkenntnisse dürfen nicht darüber hinwegtäuschen und verdrängen lassen, dass ein sogenanntes Niedriglohnprekariat in Höhe von ca. zehn Prozent aller Erwerbstätigen entstanden ist – ein Niedriglohnsektor, obwohl die Menschen in Vollzeit arbeiten. Trotz „Fördern und Fordern“ verbleiben viele Menschen dauerhaft in der Niedriglohnfalle. Geringverdienern bietet die Rentenversicherung immer weniger Sicherheit. Die vor diesem Hintergrund entstehenden und entstandenen Biographien sind auch bei Langzeitarbeitslosen anzutreffen und verhindern insgesamt ein würdiges Leben im Alter. Mit Besorgnis ist jedoch festzustellen, dass die Behebung der vorstehend geschilderten Probleme und dabei die Schaffung einer chancen-, leistungs- und sozial gerechten Gesellschaft, zunehmend von bestimmter politischer Seite durch eine nivellierende gleichmacherische Gesellschaft, ohne den Anreiz zur Anstrengung, ersetzt wurde und weiterhin ersetzt werden soll.
Ein besonderes Beispiel dieser negativen Entwicklung in der Einschränkung unternehmerischer und persönlichen Entscheidungen und das Erschaffen und Draufsetzen nicht zielgenauer Wohltaten war und ist der Entwurf der SPD „Neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“, das Konzept für einen „Sozialstaat 2025“. Den Verfassern ist insbesondere die Wertvorstellung verloren gegangen, dass das Äquivalenzprinzip, d. h. die Abhängigkeit der Rentenhöhe von der Höhe der Einzahlungen – die Rente soll Lohn für Leistung sein –, auch Freiheit und Unabhängigkeit schafft und vor staatlicher Abhängigkeit schützt. „Fördern und Fordern“ als wesentliche Bestandteile einer erfolgreichen und guten Sozialpolitik werden nahezu komplett in die Nähe von „sinnwidrigen und unwürdigen Sanktionen“ gerückt, die Versicherungssystematik außer Kraft gesetzt. Sollten sich solche Vorstellungen durchsetzen, ist ein Ansteigen und Verstetigen der Arbeitslosigkeit zu befürchten. Arbeitslose benötigen nicht in erster Linie wenig zielgerichtete Zahlungen, die möglicherweise eine Sicherheit vorspiegeln, die dauerhaft nicht gegeben ist. Arbeitslose brauchen schnellstmöglich Arbeit und ein auskömmliches Einkommen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nach Umfragen vertritt auch heute immer noch die überwiegende Zahl unserer Bürger die Auffassung, dass derjenige der viel leistet, auch mehr verdienen und später mehr Rente erhalten soll. Es darf aber auch nicht geleugnet werden, dass die Zusage, dass Leistung sich auch im Alter auszahlt, immer weniger belastbar wird. Die Deutschen haben Zweifel an der Sicherheit und der Zukunftsfähigkeit ihrer Rente. Nach einer jüngeren Umfrage gehen über 50 Prozent der Befragten davon aus, dass das gesetzliche Rentensystem über kurz oder lang vor dem Zusammenbruch steht. Über 70 Prozent gehen nach dieser Umfrage davon aus, dass die gesetzliche Rente in Zukunft lediglich eine Grundsicherung ist. Geringverdienern bietet dabei die Rentenversicherung bereits heute immer weniger Sicherheit. Das Versprechen eines ehemaligen Ministers „Die Rente ist sicher“ ist zu einer leeren Worthülse verkommen, ist unsere Rente doch schon lange nicht mehr sicher. Dies umso mehr, als bis 2030 ein Anstieg der Zahl der Rentner auf 20 Millionen erwartet wird, die Babyboomer gehen zunehmend in Rente. Es ist daher nicht verwunderlich, dass im Bewusstsein der Deutschen der Wunsch nach nachhaltigen Reformen in der Rentenpolitik gestiegen ist.
Es ist jedoch bereits gedanklich, besonders vor dem Hintergrund einer angestrebten sozialen Gerechtigkeit, im System unserer Sozialen Marktwirtschaft schwer begründbar, dass eine nicht durch Beitragseinnahmen gedeckte Grundrente – der zuständige Minister spricht in diesem Zusammenhang von einem „sozialpolitischen Meilenstein“ – im Sinne einer Grundsicherung ohne Bedürfnisprüfung auch begüterten Menschen zugutekommen soll. Diese sogenannte Respektrente, unter anderem ursprünglich mit der Bedingung einer mindestens 35-jährigen Beitragszahlung, stellt lediglich die Betroffenen ökonomisch ruhig, begünstigt ohne Bedürftigkeitsprüfung bereits besser Gestellte (indem sie z. B. Kapitaleinkünfte nicht hinreichend berücksichtigt) und erfüllt nicht die Grundanforderungen, nämlich den Schutz vor Armut und die Chancen zur Führung eines der Würde des Menschen entsprechenden Lebens. Mittlerweile ist zum einen erfreulicherweise ein Aufweichen der ursprünglich fundamentalen Positionen insbesondere hinsichtlich einer besseren Überprüfung der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation erkennbar. Die starre Frist für den Bezug der Rente soll durch einen Übergangsbereich – insbesondere für Menschen in Pflegeberufen und der Kindererziehung – erweitert werden. Nachteilig muss jedoch die Absicht angesehen werden, die Grundrente vollständig aus Steuermitteln zu finanzieren. Strikt abzulehnen ist jedoch weiterhin die Absicht, das Vermögen und das Einkommen bei der Berechnung der Grundrente nicht vollumfänglich zu erfassen und in der Berechnung der Höhe der Rentenzahlung zu berücksichtigen.
Eine ursprünglich angedachte Mitfinanzierung der Grundrente durch eine im europäischen Kontext gesicherte Finanztransaktionssteuer (Bedingung der CDU durch Parteitagsbeschluss) – ob sie nun irgendwann jemals kommt oder nicht –, die in der vorliegend angedachten Form im Besonderen diejenigen zur Kasse bittet, die in der Zeit niedriger Zinsen in ihrer Altersvorsorge auf Aktien setzen, pervertiert eher den politischen Grundgedanken der Steuer und schadet der „Aktienkultur“; es tragen insbesondere z. B. Kleinaktionäre und Fondsanleger zur Finanzierung der Grundrente bei, während hingegen z. B. Spekulanten, große Investoren, Daytrader und Hedgefonds verschont bleiben. „Diese Steuer ist ein Beispiel für eine Politik, die vorgibt, Probleme [schädliche Spekulationen] zu lösen, sie aber tatsächlich eher verschärft“ (Clemens Fuest).
Lediglich 22 Prozent der Befragten in der oben zitierten Umfrage sehen die Grundrente als Lösung des Problems der Altersvorsorge an. Es wird und wurde ausgeblendet, dass der demographische Wandel stärkere Anpassungen in der Lebensarbeitszeit notwendig gemacht hätte. Stattdessen soll die Rentenpolitik nunmehr auch zur Korrektur der Lohnpolitik herangezogen werden. Die Altersvorsorge wird zu einem Streitgegenstand mit auch wahltaktischem Hintergrund. Die Geschenke von heute begründen den notwendigen zukünftigen Korrekturbedarf. Nur eine Rentenaufstockung mit Bedürftigkeitsprüfung kann im Besonderen vor dem Hintergrund der sozialen Gerechtigkeit dauerhaft den Charakter der Sozialen Marktwirtschaft tragen.
Die staatliche Altersvorsorge ist in der vorliegenden Ausgestaltung – insbesondere unter dem Gesichtspunkt des vorstehend angeführten unausweichlichen demographischen Wandels – nicht zukunftsfest. Neben einer von zahlreichen Experten und sogar der Bundesbank vorgeschlagenen grundsätzlichen Verlängerung der Lebensarbeitszeit – im Verhältnis zur erhöhten Lebenserwartung –, sollten größere Möglichkeiten der höchst individuellen Entscheidung über den Renteneintritt geschaffen werden. Dies mit der Erkenntnis, dass ein flexibler Eintritt in den Ruhestand nicht nur einer möglichen Kontaktarmut im Alter vorbeugt, sondern auch denjenigen Rentnern und Pensionären die Möglichkeit gibt, weiterhin ihr Können in die Gesellschaft einzubringen, die dies möchten. Möglich wird dies insbesondere nur dann sein, wenn dafür Sorge getragen wird, dass insgesamt die körperlichen und psychischen Arbeitsbedingungen verbessert werden. Einem in der Diskussion der Verlängerung der Lebensarbeitszeit alarmistischen Reflex der Ablehnung ist entschieden argumentativ entgegenzutreten.
Die private und betriebliche Altersvorsorge ist auszubauen. Die Agenda 2010 hat mit dazu beigetragen, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen, wobei der oben angesprochene Niedriglohnsektor eine Rolle gespielt hat. Sie ist daher entsprechend den Anforderungen der heutigen Zeit weiter zu entwickeln. Grundsätzlich sollte die Politik dabei den Mut zu neuen Wegen haben und z. B. den in der Diskussion befindlichen Vorschlag zu einem „Bürgerfonds“ aufgreifen. Wie die Autoren vorschlagen, ist die hohe Bonität Deutschlands zu nutzen um nicht nur Vermögenssteigerungen, sondern insbesondere erhebliche Verbesserungen in der Altersversorgung – mit einer Stabilisierung der Renten zukünftiger Generationen durch Kapitalleistungen – zu verwirklichen. Dabei ist besonders wichtig und hervorzuheben, dass die Verschuldungsregeln mit den vorgegebenen Grenzen nicht verletzt werden. Die Differenz in der Rendite zwischen der Aufnahme von Geld auf dem Kapitalmarkt und der Anlage des Geldes mit den größeren Renditen auf dem Aktienmarkt schafft dem Staat die Möglichkeit, für die Bürger nachhaltig Vermögen aufzubauen.
Eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, und eine neue Aktienkultur, dürfen zudem nicht nur Forderungen in Papieren und Koalitionsverträgen bleiben. Sie sind ein unabdingbarer Weg, die Arbeitnehmer verstärkt an der Neuvermögensbildung zu beteiligen und damit ein Auseinanderdriften der Vermögen in der Gesellschaft zu erschweren, wenn nicht sogar zu verhindern. Wichtig ist jedoch dabei festzuhalten, dass ein – von den Bürgern eventuell durch von ihnen vorgenommene Einzahlungen gespeister – Staatsfonds nicht dazu führen darf, die Macht anonymer Verwaltungen zu erhöhen. Es bedarf in diesem Fall eines privaten Managements mit üblichen befristeten Verträgen. Eine regelmäßige Ausschreibung der Managementaufgaben sollte angestrebt werden.
Unter dem Deckmantel einer Gerechtigkeitsdiskussion, immer neu herbei diskutierten Gerechtigkeitslücken und der vermehrten einseitigen Auslegung des Begriffs Gerechtigkeit ausschließlich als Gleichheit, ist es unter anderem üblich geworden, höhere steuerliche Belastungen für „Besserverdienende“ zu fordern. Diese Debatte lenkt den Blick von den ständig höheren steuerlichen Belastungen der unteren und mittleren Einkommensschichten ab. Nach einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lässt Deutschland – an zweiter Stelle aller Länder – den Berufstätigen am wenigsten im Verhältnis von Brutto- zu Nettolohn – hat also die zweithöchsten Abzüge. Das Armutsrisiko der „Durchschnittsfamilie“ hat ebenso wie die Gefahr des Abrutschens des Einkommens unter das Existenzminimum erheblich zugenommen und ist im hohen Maße in den hohen Belastungen durch Steuern und Abgaben begründet. Neue Studien belegen eine zunehmende Auswanderung des Mittelstands. Wir brauchen eine Steuerreform, die den Namen verdient und nicht nur die Steuern senkt, sondern auch das Steuersystem radikal vereinfacht.
Allein die Mehrwertsteuer, deren Regelsatz in mehreren Stufen von ursprünglich 10 auf heute 19 Prozent erhöht wurde, belastete und belastet im besonderen Maße niedrigere Einkommen im Vergleich zu höheren Einkommen. Durch Verschiebung der Einkommensgrenze ist es heute auch bei Facharbeitern nicht mehr ausgeschlossen, dass sie dem Spitzensteuersatz der Einkommensteuer unterliegen. Fast jeder zehnte Steuerpflichtige – über 4,2 Millionen Bürger, mit steigender Tendenz – bezahlt in Deutschland den Spitzensteuersatz. Die dem Spitzensteuersatz unterliegenden Steuerzahler bezahlen bereits heute über die Hälfte der Gesamtsumme des Aufkommens aus Lohn- und Einkommensteuer. Die Steuerquote, also der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt, nimmt weiterhin zu. Der Staat beansprucht somit einen immer größeren Teil der Wirtschaftsleistung für sich. Diese grundsätzliche Aussage wird auch nicht durch den gelegentlich beschwichtigend vorgebrachten Einwand infrage gestellt, dass der Spitzensteuersatz nur auf den Teil des Einkommens gezahlt werden muss, der eine bestimmte Grenze überschreitet. Die Unzufriedenheit in den Haushalten der Mittelschicht wächst, einhergehend mit einem zunehmenden Gefühl von Unsicherheit und Sorge. Populismus, Protektionismus und ein zunehmendes Misstrauen gegen Globalisierung und öffentliche Organe finden ihren Nährboden. Gerade aus der deutschen Geschichte lässt sich lernen, wie schnell und bedrohlich sich Rationalität in Irrationalität umkehren kann. Aussagen von Spitzenpolitikern über die „klebrigen Finger des Staates“ fördern diese Entwicklung und vermitteln eher den Eindruck eines Offenbarungseids im politischen Handeln.
Nicht der Aufstieg des Bürgers steht vielfältig im Vordergrund des politischen Bemühens, sondern das staatliche Verwalten des Abstiegs. Gesellschaftliches Aufsteigen wird zunehmend durch Abstiegsängste ersetzt und von politischem Aktionismus begleitet. In der Sozialpolitik sind jedoch vordringlich die Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten insbesondere von Frauen, Älteren und Migranten zu verbessern. Wer gegen Ungleichheit grundlegend und nachhaltig angehen will, hat insbesondere die Entwicklungschancen sozial benachteiligter Kinder zu verbessern und damit ihre Teilhabe am Wohlstand aber auch ihre Teilhabe als Staatsbürger zu sichern. Deutschland hat im Vergleich zu anderen Industrieländern eine niedrige soziale Mobilität. Der soziale Status des Elternhauses bestimmt auch im hohen Maße den Status der nachfolgenden Generation, von annähernd gleichen Startchancen kann auch bei einer freundlichen Betrachtung schon lange nicht mehr gesprochen werden; eher gilt die Tendenzaussage, dass in dem Land mit der Pro Kopf größten Wohlfahrtsleistung, Armut vererbbar ist. Die Kernaussage weit über die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland hinaus, dass es Kinder besser haben als ihre Eltern, sofern sie sich anstrengen, gilt bestenfalls nur noch eingeschränkt. Diese große Erstarrung in unserem Gemeinwesen gilt es zuvorderst zu überwinden.
Es gilt Prioritäten zu setzen und bereits in der frühkindlichen Bildung und im Grundschulbereich alle zu einer Herstellung der gleichen Startchancen notwendigen Investitionen vorzunehmen – als Schlüssel zur Schaffung von Aufstieg und zur Armutsbekämpfung und Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe. Nur primär zukunftsorientierte bildungspolitische Investitionen – hierzu gehört z. B. auch die notwendige Beseitigung des kommunalen Investitionsrückstands in unseren Schulen – geben nachfolgenden Generationen die Chance, weiterhin Wohlstand zu schaffen und unter anderem die Lasten des Generationenvertrages zu stemmen. Allgemein formuliert lässt sich sagen, zuvorderst nur Bildung schafft die Chance auf ein besseres Leben. Es erscheint zudem notwendig, dass Kinder bereits in der Schule den bewussten und nachhaltigen Umgang mit Geld lernen. Der notwendige Eintritt aller Bildungs- und Ausbildungsstätten in das digitale Zeitalter und die unverzichtbare Vermittlung digitaler Kompetenzen – auch durch höhere Kompetenz- und Bildungsanforderungen – schaffen die Voraussetzungen, um in der zukünftigen digitalen Arbeitswelt sowohl in der Breite als auch mit spezialisiertem Wissen in der Spitze bestehen zu können. Eine personenbezogene Begabtenförderung sollte dabei stärker angestrebt und einer weiteren Nivellierung des Bildungssystems mit sinkenden Ansprüchen entgegengewirkt werden – Intellekt und Leistungsbereitschaft müssen angereizt werden. Es bleibt grundlegend festzuhalten: Ausbildung ist die beste und nachhaltigste Investition in die Zukunft. Nicht Kollektivierung sondern eine gute Ausbildung ist eine wesentliche Grundlage zur Bildung von Vermögen und zur Glättung der Ungleichheiten in der Vermögensbildung. Kernanliegen einer auf die Zukunft gerichteten Politik müssen wieder die Schaffung und Wahrung von Bildung- und Aufstiegsversprechen sein.
Es wäre in diesem Zusammenhang auch wünschenswert, wenn Politiker einen lebenslangen Lernprozess für sich selbst als notwendig begreifen. Der zu lesende Satz, dass das Land keinen Anspruch mehr an sich selbst hat (Reitzle), sollte in Zukunft – nicht zuletzt durch wieder steigende Bildungsausgaben – keine Begründung mehr haben.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Sozialstaat und seine Legitimation nur in einer grundlegenden und umfassenden Reform dauerhaft zu erhalten sein wird. Einer weiteren Subventionierung der Vergangenheit mit nachweisbar in Einzelbereichen fehlgeschlagenen Entwicklungen sollte dabei unwiderruflich ein Ende bereitet werden. Dabei sollte der Staat jährlich darstellen, welche Belastungen und in welcher Größenordnung er zukünftigen Generationen aufgebürdet hat und dabei den Kriterien der Solidarität und der Subsidiarität – damit der Hilfe zur Selbsthilfe – Rechnung getragen wird. Der Pflicht des Einzelnen zur Eigenvorsorge steht der Anspruch auf solidarische Hilfe durch die Gemeinschaft gegenüber“.