ÖPNV-Flatrates: Klientelpolitik getarnt als Förderung der Verkehrswende? Jetzt ist der Bundesrechnungshof gefragt

Jetzt ist der Bundesrechnungshof gefragt

Bei der Einführung des 9-Euro- und später des 49-Euro-Tickets als Flatrate im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wurde in den Medien ständig und laut von Vertretern der Politik und insbesondere einem großen Lobbyverband unbeirrt posaunt und behauptet, die Flatrates seien die einzigen, richtigen, wahren und vordringlichen Instrumente zur Erreichung einer „Verkehrswende“. Im ÖPNV solle mit den Flatrates primär und im Besonderen die Verkehrswende mit der Zielsetzung verfolgt werden, dass in nennenswertem Umfang Menschen ihr Auto stehen lassen und dauerhaft mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren: Somit werde es somit insbesondere positive Effekte für den Schutz des Klimas geben.

Aus der vorstehenden Zielsetzung ergibt sich bei logischer Betrachtung zwangsläufig abgeleitet: Nur das Ausmaß der nachhaltigen Verlagerung des Motorisierten Individualverkehrs auf umweltschonende Verkehrsmittel im ÖPNV kann allein Indikator und Maßstab für den Erfolg oder Misserfolg der Flatrates sein. Dies gilt es sich bei allen weiteren Ausführungen zu vergegenwärtigen.

Für den Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist das 49-Euro-Ticket schon jetzt mit hohem Pathos verkündet „wirklich ein Riesenerfolg“, ähnlich dem Erfolg bei dem 9-Euro-Ticket, so seine überall zudem mit großem medialem Aufwand verbreitete Auffassung.

Die seit der Einführung des 49-Euro-Tickets nahezu eine Million Neukunden – er hätte zum Zeitpunkt seiner Verkündungen 880.000 sagen müssen, aber eine Million klingt natürlich gewichtiger – sind für ihn ein Beleg auf dem Weg einer erfolgreichen Verkehrswende.

„Assistiert“ wird der Minister unter anderem von DB-Regio-Chefin Evelyn Palla. Im Hinblick auf die Verkehrswende im ÖPNV führt sie jedoch wohl eher unbewusst entlarvend aus: „Besonders die Ausflugsrouten in Richtung Meer und Berge sind in der Ferienzeit sehr beliebt.“ Die Flatrates sind also nach ihrer eigenen Auffassung „besonders“ Ausflugstickets und wohl augenscheinlich „nicht besonders“ Tickets, die in nennenswertem Umfang eine dauerhafte Verkehrswende herbeiführen. Da gleichzeitig die Zahl der innerdeutschen Urlaubsfahrten mit dem Auto zumindest nicht zurückging, deutet dies stark auf eine reine Verkehrsgenerierung, also auf zusätzliche Fahrten mit der Bahn durch das 49-Euro-Ticket hin.

Die große Zahl der verkauften Tickets wird in der Regel von allen Protagonisten ohne weitere Kommentare als Beleg und großer Erfolg in der Verkehrswende herangezogen. Bereits beim 9-Euro-Ticket gab es jedoch eine konträre Auffassung, unter anderem mit der Aussage, dass die vom Steuerbürger für die Flatrates in Milliardenhöhe aufzubringenden Gelder wegen deren geringen Effizienz in der Verlagerung von Verkehren auf klimafreundliche Verkehrsmittel verschleudert wurden; dies alles ist unter anderem in Beiträgen auf den Seiten der Ludwig-Erhard-Stiftung veröffentlicht worden (siehe bspw. hierhier und hier).

Nach Beendigung des 9-Euro-„Experiments“ (Wissing) wurde diese Analyse durch mehrere empirischen Studien bestätigt: Zwar wurden durch das 9-Euro-Ticket einige neue Kunden für den ÖPNV hinzugewonnen, es kam jedoch insgesamt zu keiner nennenswerten Verkehrsverlagerung. Der Steuerbürger hat insbesondere mehrere Milliarden Euro aufgebracht, um für eine kurze Zeit ÖPNV-Pendler finanziell zu entlasten und zahlreichen Menschen in den Sommermonaten einen kostengünstigen Ausflugstourismus zu ermöglichen: Von einer Mobilitäts- und/oder Verkehrswende kann selbst bei wohlwollender Betrachtung keine Rede sein.

Für eine echte „Mobilitätswende“, also einen nachhaltigen Umstieg vom Pkw auf den ÖPNV, bedarf es in erster Linie Angebotsverbesserungen und Strukturreformen im ÖPNV, so die allgemeine Erkenntnis. Flatrates sind hingegen für den Klimaschutz weitestgehend wirkungslos und schaden letztlich sogar dem Klimaschutz, da mit anderen Maßnahmen und effizienten Strukturen mit demselben Aufwand deutlich mehr Klimaschutz erreichbar wäre. Der Reformwille ist im ÖPNV jedoch augenscheinlich sehr schwach ausgeprägt. Das Handeln z. B. der Betriebe beschränkt sich vielfach eher darauf, Subventionen „abzugreifen“, anstatt nutzenstiftende Innovationen voranzutreiben. Mit den Subventionen und den damit verbundenen Auflagen wird der Staat letztendlich zum Lenker der Betriebe und ihrer Geschäftspolitik, letztlich des gesamten Mobilitätsangebots.

Trotz der ernüchternden Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket wurde das 49-Euro-Ticket als Nachfolgemodell politisch durchgesetzt. Auch hier kam es wieder zu einer konzertierten Jubelaktion, die gerne genutzten Bezeichnungen „Umweltticket“ und „Klimaticket“ sind besonders auffällige Versuche der Aktion einen grünen Deckmantel anzuziehen. Da man sich augenscheinlich der fakeartigen Benutzung dieser Wörter im Zusammenhang mit dem 49-Euro-Ticket zunehmend bewusst wurde, kam es alsbald trotz der nach wie vor zu beobachtenden Fragmentierung zum nicht minder hochtrabenden Ersatz durch den Namen „Deutschlandticket“. Man will weltfremd und aus Eigennutz „sich bewegen“ signalisieren, ohne dass dabei etwas verändert wird. Wer so handelt, kann im besten Fall – und das ist vielleicht auch genau so gewollt – den Status Quo mit den eigenen Besitzständen retten. Er entpuppt sich jedoch – selbst bei weniger genauer Betrachtung – als Bremser der Mobilitätswende und Klimasünder.

Ehrlicherweise und der Realität sich nicht verweigernd, hätte der Minister mit Hinweis auf bekannte statistischen Daten – in der Grafik anschaulich dargestellt – erklären müssen: Unterm Strich ist der Erfolg der Flatrate 49-Euro-Ticket – wie beim 9-Euro-Ticket – im Hinblick auf eine erfolgreiche Verkehrswende nahezu ausgeblieben: Lediglich acht Prozent der Deutschlandticket-Käuferinnen bzw. Käufer sind neu im ÖPNV. Die Lobhudeleien des Ministers mit Hinweis auf millionenfache Ticketverkäufe sind daher anhand der vorliegenden Daten nur sehr schwer rational erklär- und als Wahrheit vermittelbar.

Die Länder, Lobbyisten und zudem Vertreter hochsubventionierter ÖPNV-Betriebe, fordern in bekannter Art und Weise und unter Zuhilfenahme der üblichen Drohkulisse – sonst muss das Angebot ausgedünnt werden – letztendlich wieder mehr Geld. Dies nicht nur mit Hinweis auf das 49-Euro-Ticket, vor dessen Ende sie laut warnen. So wird z.B. der Vorsitzende der Länder-Verkehrsministerkonferenz wie folgt zitiert: „Ohne eine Einigung in offenen Finanzfragen für die Zeit nach 2023 sehen die Länder die Fortführung des Deutschlandtickets oder zumindest dessen flächendeckende Anwendung ernsthaft gefährdet.“ Allerdings ist auch diese generelle Strategie bereits durchschaut worden: „Angestrebt wird eine Opfergemeinschaft, in der die Bürger als Empfänger politischer Fürsorge bewirtschaftet werden, um ihnen (den Politikern, Anmerkung RS) dafür Respekt zu zeigen“ (Norbert Bolz). Die Überregulierung des ÖPNV-Marktes geschieht vor dem Hintergrund einer Politik, die dem Individuum und wirtschaftlich handelnden Menschen jedes Zutrauen versagt.

Insbesondere diejenigen, die nachweisbar und unbeirrt in der Vergangenheit ausschließlich Flatrates als Heilsbringer für eine erfolgreiche Mobilitätswende angepriesen haben, fordern nun unisono erhebliche Mittel zum Ausbau des Angebots. Schnell hat man auch wieder einen wohlklingenden Namen für die Aktion gefunden:  Deutschlandangebot. Schnell ist auch die Forderung auf dem Tisch – unter Berufung auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land -, Mobilitätsgarantien insbesondere für ländliche Bereiche zu beschließen. Wann beginnen sich die Entscheider im ÖPNV ehrlich zu machen? Lassen Sie uns doch zuvorderst mal damit beginnen, nicht nur mehr Angebot (besonders im ländlichen Bereich) zu schaffen, sondern erst einmal die Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Stabilität des bestehenden Angebots herzustellen! Es fehlen schlichtweg auch vermehrt Personen vom Fach, die ihr Geschäft verstehen und die diese grundlegenden Hindernisse, einhergehend mit einer heruntergekommenen Infrastruktur, für einen Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel beseitigen. Solange zudem Fahrgästen mitgeteilt wird: „Ein Zustieg weiterer Personen ist nicht mehr möglich. Bitte wählen Sie eine andere Verbindung“, und diese Warnung gleichzeitig für weitere mögliche Verbindungen ausgesprochen wird, wirken Forderungen, den ländlichen Raum an eine „geteilte, integrierte und somit nachhaltige Mobilität“ anzubinden, als eher hohles und von der Realität ablenkendes Gerede. Dem ÖPNV-Nutzer und hier speziell Bahnkunden bleibt ein Gefühl der Ohnmacht. Im Anblick von z.B. nicht funktionierenden Heizungs- und Klimaanlagen, nicht benutzbaren und/oder verschmutzten Toiletten, einer nicht appetitanregenden Gastronomie (falls nicht geschlossen oder überhaupt nicht vorhanden) und nicht eingehaltenen Reservierungen verstärkt sich das Ohnmachtsgefühl.

Insgesamt stellt sich nach diesen Widersprüchen zwischen den augenscheinlichen Fakten und den Jubelarien der Verantwortlichen in Politik und insbesondere der Lobbyisten die grundsätzliche Frage nach einer neutralen Bewertung der Effizienz der Flatrates im Hinblick auf die Verkehrswende und damit dem Umstieg vom Auto auf klimafreundliche Verkehrsmittel. Es ist zu befürchten, dass die – unter dem Einfluss von Lobbyisten und vielfach auch auf Basis der von diesen gelieferten Daten -, Milliarden von Steuergeldern nicht zweckmäßig und nicht mit dem höchsten Zielerreichungsgrad für die überfällige Mobilitätswende verwendet werden. Begleitet wird das Ganze von großen Pressekampagnen der Lobbyisten und Besitzstandswahrer, die sich mit dem Minister öffentlich über den grünen Klee loben. Mehr Eigenlob ist wohl nicht mehr möglich.

Kurzum: Bei einer Analyse der „Euro-Tickets“ stellt sich zuallererst die konkrete Frage: Was kosten die 9- und die 49-Euro-Flatrates den Steuerbürger und was bringen die Maßnahmen überhaupt als Beitrag zur Verkehrswende und damit für den Klimaschutz? Es ist nicht nur im Interesse der Steuerbürger, sondern in unser aller Interesse herauszuarbeiten, was mit unseren Steuer-Milliarden passiert. Es bedarf hierzu weder von Lobbyisten noch klientelgetriebener Schönrednerei, sondern belastbarer Zahlen, die belegen, wo eventuell eine blanke Verschwendung von Steuergeldern gegeben ist, wo eventuell mit Zahlen „getrickst“ und „getäuscht“ wird. Wo vielleicht möglicherweise bewusst oder unbewusst eine Klientelpolitik getarnt als Förderung der Verkehrswende betrieben wird.

Es ist und es muss unabdingbar sein, und es ist allerhöchste Zeit, die Effizienz der für die Flatrates eingesetzten Steuer-Milliarden im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung zu hinterfragen, soll nicht weiterhin eine Verachtung des Steuerbürgers stattfinden und Mittel eventuell nahezu „sinnlos“ vernichtet werden, die dringend für die Mobilitätswende, z.B. für eine wesentliche Verbesserung des Angebots gebraucht werden. Es bedarf hierbei einer schnellstmöglichen und umfassenden neutralen Prüfung aller Daten und Fakten, im Idealfall durch den Bundesrechnungshof.

Augenscheinlich verblasst bei einigen Entscheidungsträgern die Erinnerung, dass ein wesentliches Merkmal unserer wohlstandsschaffenden Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft ein sparsamer Umgang mit Ressourcen ist. Dabei ist dem Prinzip der persönlichen Verantwortung und Haftung für wirtschaftliches Handeln sehr große Bedeutung beizumessen. Wer die Macht hat, Entscheidungen zu treffen, sollte unabdingbar dafür auch die persönliche Verantwortung tragen müssen. Nur in einer konsequenten Verknüpfung von Macht und Verantwortung ist eine gute Grundlage für verantwortliche rationale Entscheidungen gegeben.

Es verfestigt sich zunehmend bei vielen Menschen insgesamt der Eindruck, dass „die da oben“ (und damit sind auch die Politik und die Lobbyisten gemeint), auf Kosten der Allgemeinheit bereit sind, ihren Vorteil zu suchen.

Auch im Bereich des Verkehrs sind zunehmend mahnende Stimmen zu hören, die eine mögliche persönliche Haftung des vorhergehenden Verkehrsministers fordern. Wie will man dauerhaft z.B. im Extremfall Freiheitsstrafen für Steuerhinterziehung rechtfertigen, wenn Minister eventuell fahrlässig und schlampig mit unserem, ihnen anvertrauten Steuergeldern umgehen?

Eine persönliche Haftung für Politiker und ihr wirtschaftliches Handeln, ist (bei allen Schwierigkeiten und vielfältig zu klärenden Fragen) längst überfällig, soll das Vertrauen in die Demokratie und unsere Gesellschaftsordnung nicht weiter erodieren.

Solange dies nicht geschieht, bleibt zu vermuten, dass im vorliegenden Fall von einem Skandal gesprochen werden kann und muss.

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